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Gott erzieht weil – und wann immer –
er rettet

Motiv, Weg und Ziel der Pädagogik des Gottes des Exodus

In seinem Jahresleitgedanken wollte der Generalobere “die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Zielgruppe unseres Erziehungswerkes lenken, sondern direkt – so sagt er - auf euch alle, liebe Erzieher und Erzieherinnen, die ihr euch wie Jesus vom Heiligen Geist geweiht und gesandt fühlt, das Evangelium zu verkünden, aus Abhängigkeiten zu befreien, die rechte Sicht wiederzugeben und ein Gnadenjahre denen anzubieten, an die sich Euer Erziehungswerk richtet.”

Dass sich in diesem Jahr der Leitgedanke auf die Person des Erziehers konzentriert, scheint mir – ohne Zweifel – richtig. In der Tat: Der Jahresleitgedanke „möchte ein Aufruf dazu sein, unsere Identität als Erzieherinnen und Erzieher zu stärken, das salesianische Erziehungsangebot deutlich zu machen, die Erziehungsmethode zu vertiefen, das Ziel unserer Aufgabe zu erklären und uns der sozialen Auswirkungen des erzieherischen Handelns bewusst zu werden.

Aber sein größter Wert liegt meines Erachtens in der Identifikation des Erziehers mit Christus, das heißt, in der Gleichsetzung der erzieherischen Sendung mit der messianischen. Wie Christus fühlt sich der Erzieher geweiht und vom Geist gesandt um das Evangelium zu verkünden, aus Abhängigkeiten zu befreien und eine Gnadenzeit anzubieten, (vgl. Jes 61.1-2). Auch wenn nicht ausdrücklich gesagt, deutet die Identifikation des Erziehers mit Christus auf das Verständnis des erzieherischen Handelns als Heilsgeschehen hin, was gleichzeitig bedeutet zu erklären, dass im Christentum erzieht, wer rettet und rettet, wer erzieht.

Ziel meines Vortrags ist es, diesen Gedanken zu vertiefen, ich möchte das Heil Gottes als Erziehung vorstellen und so die Erzieher – und wer, der zur Salesianischen Familie gehört, ist das nicht? – zu ermutigen, das Amt Gottes zu übernehmen, das bedeutet, mit soviel Bewusstsein wie Wirksamkeit erziehend zu retten. Ich hätte mich von Lk 4,18-19 anregen lassen können, dem Zitat aus dem Evangelium, welches die Konstitutionen des SDB im IV. Kapitel verwenden, wenn sie „als erzieherisch-pastorales Manifest umformulieren“, was „Don Bosco gelebt und gesagt hat“. Mir schien aber der Vorschlag einer biblischen Reflexion über den Auszug Israels aus Ägypten, als dem Ereignis der Schöpfung Israels als Volk Gottes, als zentrales Motiv geeigneter und anregungsreicher, weil es uns an Gott erinnert, der Erzieher ist, weil und wann immer er rettet.

I. Gott rettet Erziehend

Der Auszug aus Ägypten, das Musterbeispiel einer biblischen Heilsgeschichte, wird im Buch Exodus als eine langes, wunderbares Erziehungshandeln Gottes dargestellt. Um Gott aus Israel herausziehen zu lassen, bemühte sich Gott für eine lange Zeit und mit ebensoviel Enthusiasmus wie Erfindungsgabe. Der Erziehungsprozess Gottes besteht aus vier Schritten, die er unternimmt, um Israel zu retten.

Der erste, vorbereitend aber unabdingbar, ergab sich, als Gott selbst aus der Anonymität heraus trat und sich Mose als Mittler erwählte. Er brachte ihn dazu, seinen Arbeitsplatz und seine Familie zu verlassen, um das Volk Gottes aus Ägypten heraus zu führen. (vgl. Ex 3,1-4,17).Gott gab sich zu erkennen, als er Mose das Heil vor Augen führte, das seinem Volk bevorstand.

Die anderen drei Schritte sind in Wirklichkeit aufeinanderfolgende Phasen eines einzigen Befreiungsprozesses, Gott erzwingt –wie vom Unterdrücker Ägypten so auch von seinem Schützling Israel - den Zustand der ungerechten Sklaverei aufzugeben und einen freien Dienst zu beginnen (Ex 7,8-13,16); im zweiten Schritt lässt Gott Israel, kaum dass die Freiheit begonnen hat, für vierzig Jahre durch eine Wüste ziehen, bis es sein verbündetes Volk wird (Ex 13,17-24,18); endlich, nachdem er der einzige Weggefährte und der einzige Verbündete geworden ist, lässt Gott Israel in des gelobte Land und in seine Ruhe hineinziehen (Num 27,12-23; Jos 1,1-11) ).

1. Das Warum: die Offenbarung eines neuen Gottes
In dem er sich selbst offenbart, erzieht Gott Mose zum Mittler und Vertreter

“Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!”
(Ex 3,10)

Bevor er beginnt zu retten und Israel aus Ägypten herauszuführen, offenbart sich Gott selbst, indem er Mose seinen Plan enthüllt, zu dem er ihn als Mittelsmann ausgewählt hat, als Sprachrohr für seine Vorhaben und als Anführer der anstehenden Befreiungsaktion: “Ich bin herabgestiegen, um Israel aus der Hand der Ägypter zu entreißen … Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk aus Ägypten heraus.” (Ex 3,8.10) Weil er Israel aus der Sklaverei herausführen will, muss Gott zunächst einen Mittler auswählen und diesen persönlich erziehen.

1.1 Lernen zum Mittler Gottes zu werden, eine beschwerliche und mühsame Unterweisung

Bevor Gott die Rettung beginnt, die sich als großer Auszug erweisen wird, unterwirft Gott, den, der diese Rettung anführen soll, einer langen und mühsamen Schulung. Der Mittler muss zuerst persönlich erfahren, wie er den Namen Gottes seinem Volk vorstellen kann. Wer das Volk Gottes erziehen muss, muss sich zunächst von Gott erziehen lassen.

Mose, der – kaum, dass er geboren war, “aus dem Wasser” eines großen Flusses gerettet wurde (Ex 2,10), ist berufen, eine Rettung zu vollziehen, indem er das Meer teilt “damit die Israeliten auf trockenem Boden in das Meer hinein ziehen können.” (Ex 14,15). Ein Hebräerkind (Ex 2,6), angenommen von der Tochter des Pharaos (Ex 2,9-10), konnte – genau wie dann sein Gott (Ex 3,7-8; 6,5-6) – die Leiden seines Volkes nicht aushalten (Ex 2,11): Er erschlug einen Ägypter (Ex 2,12) und musste ins Exil gehen, um sein eigenes Leben zu retten (Ex 2,14). Der, der eines Tages die Befreiung des Volkes anführen wird, (Ex 14,4) hatte sich zunächst gerettet, in dem er sich auf die Flucht begeben hatte. (Ex 2,15); für Jahre lebte er “als Gast im fremden Land” (Ex 2,22), bevor er sein Volk für vierzig Jahre durch die Wüste führte (Dtn 29,4): Der, der berufen sein wird, Israel zu einer Begegnung mit Gott zu führen (Ex 19,1-25), lebte zwischen Fremden, als ihm Gott begegnete (Ex 3,3-6). Er, der die Rebellion seines Volkes aushalten musste (Ex 14,11; 15,24; 16,2-3; 17,2-4), wusste, sich Gott entgegen zu stellen (Ex 4,1-14; 6,12-30). Er, der Zeuge eines verkannten und beanstandeten Gottes wird, kannte das Unverständnis und die Ablehnung der Seinen (Ex 16,3.8; 17,3).

Wenn schon die Ausbildung, der Gott den Mose unterzog beschwerlich, sogar grausam war, um so unmenschlicher wurde Moses Ende. Der, der den Auszug aus Ägypten voranbrachte und anführte, der das Volk in der Wüste führte und begleitete, der ihnen die Gesetzessammlung und ein Nationalitätsbewusstsein brachte, der das Volk zum Verbündeten Gottes machte, beendete seine Tage an der Schwelle zum gelobten Land: er trat in den Frieden der Väter ein (Dtn 31,16), ohne in den Frieden Gottes einzutreten (Dtn 31,2); es wird ihm zugestanden, das Land von weitem zu sehen, ohne es überhaupt zu erreichen, das ersehnte Land (Dtn 32,55), welches die Verwirklichung des versprochenen Heiles war. Der von Gott auserwählt war, das Heil zu vermitteln, beendete sein Leben, in dem er das Heil „zur Hälfte“ erfuhr: er starb und wurde begraben “nach der Ordnung des Herrn …, im Land Moab” (Dtn 34,5.6). Das Schicksal dessen, der zum Mittler zwischen Gott und seinem Volk berufen war, ist es, auf halbem Weg zu belieben, ohne wirklich zu einem der beiden zu gehören.

1.2 Die Begegnung mit Gott, Ursache und Grund der Vermittlung

Mose war in der Lage diese mühsame Schulung auszuhalten, weil er Gott persönlich kennen gelernt hatte. Der Gott, der Mose am Berg Nebo “das ganze Land” gezeigt hatte und es ihn mit eigenen Augen hatte sehen lassen (Dtn 34,1.4), hatte sich ihm persönlich „auf dem Berg Horeb, dem Gottesberg“ (Ex 3,1.4) genähert. Mose stieß auf Gott im Dornbusch, der brannte, ohne sich zu verzehren, ein Gott, der sich nicht sehen ließ, sondern hören, ein Gott, der einen Heilsplan enthüllte, aber nicht sein Angesicht. Mose näherte sich Gott an, ehe er begann, das Volk zu retten; der Mittler wurde Vertrauter, bevor er unter der göttlichen Pädagogik litt; er ließ sich von dem erziehen, der sich ihm enthüllt hatte: Gott gab sich zu erkennen, bevor er sein Plan zu erkennen gab, zuerst enthüllte er seinen Namen, dann seinen Plan und erst danach begann die Schulung seines Mittlers. Das göttliche Erziehungshandeln stellt den auf die Probe, der Ihn erfahren hat: Gott unterwirft seiner Erziehung den, der Ihn bereits gut kennt.

Gott beginnt seine erzieherische Arbeit mit Mose, indem er ihn ruft. Er bringt ihn dazu das, was ihn in Anspruch nimmt zurück zu lassen (Familie, Beruf, seinen Wohnort) um ihm eine Aufgabe aufzuladen, die er sich nie vorgestellt hatte: das Volk zu retten, welches er verlassen hatte, um sich selbst zu retten. Mose fand in dieser Begegnung mit einem „neuen“ Gott eine neue Mission im Leben. Er hatte die Begegnung mit Gott im gleichen Moment, in dem er den Heilsplan für Israel kennen lernte.

„Der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs“ offenbart ihm seinen Namen, er identifiziert sich als Befreier Isaraels, als “Gott des Hebräer” (Ex 3,18), als ein Gott, der da ist, um “die Israeliten aus Ägypten herauszuführen” (Ex 3,11): “Ich bin gekommen, um euch und das, was euch in Ägypten geschieht zu sehen. Und ich habe gesagt: Ich führe euch aus dem Elend Ägyptens heraus ” (Ex 3,17). Gott enthüllt seinen „neuen“ Namen, indem er seine Absicht enthüllt, Israel zu befreien: Er ist da, um zu retten.

Nur Mose, der den Namen Gottes und sein Vorhaben kennt, kann sich dem Pharao und dem Volk als dessen Vertreter vorstellen. (Ex 3,11-15). Um das Volk Gottes zu retten muss er Gott zuinnerst kennen, seinen “Namen” und sein “Programm”; und Gott wird immer mit Mose sein, besonders dann, wenn Mose sich dafür einsetzt, das Volk zu retten. (Ex 3,12).

Ein so großes Wirken stößt natürlich auf Widerspruch. Der erste und schlimmste Widerstand wuchs im Herzen des Gerufenen: Gott setzt alles ein, um diesen Widerstand mit ebensoviel Kraft wie pädagogischem Takt niederzureißen. Als Mose sich als unfähig bezeichnet, (Ex 3,11: “Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen kann?”), verpflichtet sich Gott, ihn nicht allein zu lassen (Ex 3,12: “Ich bin mit dir”). So dieser Gott ein unbekannter ist (Ex 3,15 (sic): “Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen?”), wird Mose im Stande sein, seinen wirklichen Namen zu nennen (Ex 3,14: Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der “Ich-bin-da”. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der “Ich-bin-da“ hat mich zu euch gesandt.“). Als Mose fürchtet, das Vertrauen des Volkes nicht zu gewinnen (Ex 4,1: “Was aber, wenn sie mir nicht glauben und nicht auf meine Stimme hören?”), gewährt Gott ihm wunderbare Kräfte (Ex 4,8: “Wenn sie dir nicht glauben und sich durch das erste Zeichen nicht überzeugen lassen, werden sie auf das zweite Zeichen hin glauben.”). Als Mose mit letztem Widerstand beteuerte, nicht reden zu können (Ex 4,10: “ Ich bin keiner der gut reden kann, weder gestern noch vorgestern, noch seitdem du mit deinem Knecht sprichst”), verspricht Gott ihm, sein Mund zu sein, (Ex 4,12), und gibt ihm überdies einen Bruder (Ex 4,14: “Hast du nicht einen Bruder, den Leviten Aron? Ich weiß, er kann reden”). Und das erste: “Geh also, ich bin mit deinem Mund” (Ex 4,12) verwandelt sich in ein “Sprich mit ihm und lege ihm die Worte in den Mund! ... er wird für dich zum Volk reden“ (Ex 4,15-16).

Seltsam, dieser erzieherische Weg, der mit einem Gott, dem man zuhört, beginnt und mit einem Bruder zum Redenlassen endet! Welche erzieherische Geduld verschwendet Gott, der Retter, an seinen Gesandten! Das Resultat ist offensichtlich: Gott mit sich zu haben und einen Bruder zur Verfügung zu haben machen aus Mose den Mittler, den das Volk so dringen braucht.

2. Das Was: Ein unumgänglicher Aufbruch
Durch die Erzwingung des Auszugs erzieht Gott sein Volk und lässt es aus der Knechtschaft zum Dienst überwechseln

“So spricht der Gott Israels:
Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern können“(Ex 5,1)

Israel erlebte den Auszug aus Ägypten wie eine Befreiung, weil es als Sklaven einer ungerechten System der Zwangsarbeit unterworfen war. Und es verstand, dass es das Werk eines „neuen“ Gottes war, dass sie es geschafft hatten, davonzukommen. Nur ein solcher Gott konnte sich mit der militärischen Macht des Pharaos vergleichen und gewinnen: die Befreiung einer Gruppe von Sklaven war göttliches Heil, der Beginn der Freiheit Israels, des Volkes, das einen Gott kannte, der fähig war, sie aus Ägypten herausziehen zu lassen, “aus dem Sklavenhaus ... mit mächtiger Hand ” (Ex 13,3).

2.1 Das einleitende Projekt Gottes, ein Fest von drei Tagen

Ein neuer Gott enthüllt sich, indem er seine neue – unerhörte- Forderung bekannt macht: “Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen .... Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie aus der Hand der Ägypter zu befreien” (Ex 3,7-8). Dieser Gott macht den Anfang seines großen Plans zur Rettung Israels mit einer diskreten, bescheidenen Anfrage: Er sandte Mose und Aron, um den Pharao zu bitten, Israel “drei Tagesmärsche weit in die Wüste ziehen [zu lassen] und Jahwe, unserem Gott, Schlachtopfer darzubringen” (Ex 5,3); er wollte Sklaven befreien, um von diesen Dienst erwiesen zu bekommen.

Und, tatsächlich, als Mose und Aron in seinem Namen fragten, ging es nur um eine kurze Zeit der Zerstreuung, eine verträgliche Unterbrechung der auferlegten Arbeit. Durch die Verweigerung der Erlaubnis, löste der Pharao einen langen und gewalttätigen Prozess der Befreiung aus. Wer sich verweigert, Gott zu dienen, entscheidet sich dafür, sich des Nächsten zu bedienen; wer hingegen den freien Dienst für Gott, der die Freiheit liebt, bevorzugt, der fühlt sich dem Befreiungsprozess verpflichtet. Den Dienst für Gott abzulehnen, der sich in der Ruhe und dem Fest verwirklicht, ist ein Angriff gegen Gott, der von befreiten Menschen gefeiert werden will. Wer an den Gott des Exodus glaubt, wird sich bei der Arbeit niemals gezwungen fühlen, und in der Freizeit wird er sich gerufen wissen, seine wieder gewonnene Freiheit zu feiern (Ex 5,1-9; 13,2). Den Geschmack am Fest und an der Ruhe wiederzugewinnen, auch wenn sie kurz sind, hilft, sich an Gott zu erinnern und sein Heilsprojekt wirklich zu machen. So entstehen eine Liturgie, Freiraum und Antrieb für erneuerte Befreiungsprozesse.

Von Anfang an wusste Israel, die erlangte Freiheit nicht verdient zu haben; es kannte aber das Motiv seiner Befreiung: Gott zu dienen (Ex 5,1). Weil der Gott des Exodus das Fest liebte, befreite er ein Volk, damit es ihn feierte. Die Freiheit, die Gott uns verschafft, ist also nicht bedingungslos, sie hat ein genaues Ziel, die Verehrung des Befreiers, die feierliche Verherrlichung der geschenkten Freiheit.
Die Konsequenz daraus: Wenn der Dienst Gottes nur freien Männern und Frauen möglich ist, dann ist Freisein und sich Freifühlen vorrangige Aufgabe um ein Fest zu feiern. Der Dienst für Gott ist authentisch, er entsteht aus der erlebten Freiheit.

2.2 Die “Gründe” Gottes: seine Väterlichkeit

Um sein Eingreifen zum Wohl einer Gruppe von Sklaven zu legitimieren, muss Gott eine ungewöhnliche Entscheidung treffen: er nimmt Israel als Erstgeborenen an und stellt sich als sein gesetzlicher Vertreter dar. „Vater” eines Volkes geworden, kann er nicht vermeiden, sich an den Unterdrückern zu rächen: “Israel ist mein erstgeborener Sohn. Ich sage dir: Lass meinen Sohn ziehen, damit er mich verehren kann! Wenn du dich weigerst , ihn ziehen zu lassen, bringe ich deinen erstgeborenen Sohn um.” (Ex 4,22-23). Israel konnte sich seiner Befreiung sicher sein, denn Gott konnte sich seiner Verantwortung nicht entledigen. Wie ein Sohn geschützt, wusste es sich berufen, frei zu sein.

Der Glaube an Gott den Vater nährte in Israel das Verlangen nach Freiheit; das Wissen um die familiäre Verbundenheit brachte Israel dazu, zu fordern, das “Haus der Sklaverei” zu verlassen. Israel dachte immer, dass seine Freiheit gewährtes Geschenk und nicht Frucht kollektiver Anstrengungen war; sie waren zu einem freien Volk geworden, als sie zu Gläubigen geworden waren; und sie wussten, dass nationale Unabhängigkeit und Souveränität gebunden blieben an ihren Glauben zu Gott, an den Dienst an Ihrem Vater.
Darum waren sie, immer wenn sie sahen, dass Autonomie und Freiheit bedroht waren, geneigt, ihre Schuld zu bekennen; als Gläubige wusste Israel, dass Ungehorsam gegenüber Gott sie unverteidigt in den Händen seiner Feinde ließ. Wer in die Geschichte einer Begegnung mit Gott hineingeboren worden ist, wird in der Geschichte bleiben, wenn er Gott nicht verliert. Der Glaube an den Gott des Exodus verpflichtete Israel, seine Geschichte immer in Verbindung mit seinem Gott und Vater zu bringen

2.3 Ein missverstandenes und bekämpftes Vorhaben

Es erwies sich als schwierig, Israel zu befreien, sogar für Gott. Der vorgefundene Widerspruch zwang ihn wiederholt - und manches Mal mit Gewalt - seinen Willen zu behaupten: er sprach sich anhaltend für das von wenigen, oder von einigen ersehnte Heil aus.

Gott fand den ersten und hartnäckigsten Widerstand in der politischen Macht: der Pharao, wandte sich an Magier und Propheten, um das Befreiungsprojekt Gottes von Anfang bis Ende in Gefahr zu bringen. Um erfolgreich zu sein, kämpfte Gott ‘Seite an Seite’ Und daraus geht einzigartig hervor, dass Gott selbst mit Opposition gerechnet hatte, er hat sie sogar gesteigert, indem er das Herz des Pharaos verhärtet (Ex 4,21); auch wenn es gute ‘politische’ (Ex 1,10-11) und wirtschaftliche (Ex 5, 12-19) Gründe gab, die Feindseligkeit war von Gott vorhergesehen, sogar gewollt (Ex 7,3-4; 9,12; 10,1.20.27; 11,10; 14,4.17): sein Plan war politisch inkorrekt (eine Gruppe von Sklaven zu befreien), ein ökonomisches Desaster (Tag der Zerstreuung für Zwangsarbeiter zu erlauben) und aus religiöser Sicht nicht ratsam (einen noch nicht (wieder-)erkannten Gott zu feiern), Gott ängstigte sich nicht, er war eher daran interessiert, Verehrung zu erlangen, als Sklaven zu bleiben, er bevorzugte den Dienst der freien Menschen in der Wüste (Ex 3,12), anstatt die Klage zu hören und die Unterdrückung seines Volkes zu sehen (Ex 3,7.9).

Der Gott unserer Väter (Ex 3,6) ist ein Gott, der sich bekannt macht, indem er Sklaven befreit, ein Gott, der, indem er eine Gruppe Befreiter in die menschliche Geschichte einführt, sich als ihr Gott anbot. Unser Gott ist ein Gott, der freie Menschen braucht, um sie zu treuen Gläubigen zu machen. Die Erfahrung mit dem Gott des Exodus erfordert Menschen, die die ihnen zugestandene Freiheit lieben, Menschen, die die Einschränkung der Freiheit anderer nicht unterstützen: der Gott des Exodus lässt sich ausschließlich von freien Menschen feiern. Es wird diesem Gott begegnen, der aus Ägypten herauszieht, aus dem Sklavenhaus und diese Freiheit eröffnet, in dem er diesen Gott feiert. Die angestrebte Freiheit, um Gott zu dienen, war der erste Schritt der Pädagogik des Gottes des Exodus.

 

3. Das Wie: Eine unerwartete Wüste
Gott erzieht sein Volk, in dem er es durch die Wüste führt und es aus der Einsamkeit in ein Bündnis übergehen lässt.

Im Exodus, dem historischen Heilsprojekt der Bibel, ist die Wüste eine unvorhergesehene, aber notwendige Zwischenstation der göttlichen Pädagogik. Gott, der beginnt zu retten, indem er Massen von Sklaven aus Ägypten herausziehen ließ und ihnen Freiheit und ein Land, um diese Freiheit zu leben, versprochen hatte (Ex 3,8), dieser Gott legte ihnen langes und beschwerliches Umherziehen durch die Wüste, durch Niemandsland auf (Ex 13,17), als mehrstufigen Weg der totalen Freiheit entgegen.

Dass der Bericht über diesen Durchzug durch die Wüste den größten – und zentralen – Teil des Pentateuch einnimmt (von Ex 19,1 bis Num 10,28), ist Beweis für seine Wichtigkeit im Erziehungsprogramm Gottes: Israel lernte, dass dort, wo niemand überleben kann, nur Gott zur Rettung beiträgt; dort wo alles widrig und feindlich ist, wird nur Gott zum Begleiter. Israel musste für gut vierzig Jahre umherziehen und lernte an der Seite Gottes zu gehen, der das Volk befreite (Ex 13, 21-22) bis zur Begegnung mit dem verbündeten Gott (Ex 19-34).

3.1 Eine strategische Entscheidung Gottes

Die, die Ägypten verlassen, gelangen nicht sofort, wie sie dachten und wie es ihnen versprochen war, in ein „schönes und weites Land..., wo Milch und Honig fließen“ (Ex 3,8). Auf die wunderbare Befreiung folgt nicht die unmittelbare Übergabe des Landes, in dem sie in Freiheit leben; Israel begann frei in der unbewohnbaren Wüste zu leben. (Ex 13,17-18,20).

Das Betreten der Wüste war weder Laune Gottes noch menschlicher Irrtum, sondern eine gut durchdachte Entscheidung Gottes (Ex 13,17-18), auch wenn es nicht vorhergesehen und von Israel nicht gewollt war. (Ex 14,11-12). Im Programm Gottes war die Wüste Ort und Zeit des Heils, auch wenn sie in Wirklichkeit nur auf die Fülle verwies. Das Umherziehen mit unbekanntem Kurs in unbewohnbarem Land war Zeit der Versuchung und der Gnade, Ort der Prüfung und der Begegnung mit Gott.

Gott griff auf die Wüste als pädagogsiche Option zurück; er führte eine Gruppe von Menschen hinein, die noch nicht an die Freiheit gewöhnt waren und nach langen Wegen und anhaltendem Murren, ließ er ein Volk herausziehen, das zu einer Nation und zu seinem entschiedenen Verbündeten geworden war. Ohne die Wüste hätte Israel weder das Bündnis mit seinem Gott beschworen noch hätte es ihn als Wegbegleiter akzeptiert.

Wenn Gott rettet, setzt er immer die Wüste ein, wenn er das gegebene Versprechen ohne feste Zeitangabe verzögert, wenn er die seinen allein und unverteidigt vor dem Feind zurücklässt, wenn er sie ohne Freund in Niemandsland ziehen lässt. Wer dies vergisst oder sich dem entgegenstellt, verliert, auch wenn er schon befreit ist, die Möglichkeit, zum Glauben zu kommen und Verbündeter Gottes zu werden.

3.2 Zeit für Gott und die seinen, die eigene Treue zu erproben

Israel erlebte viel verlorene Zeit in der Wüste, um Gott auf die Probe zu stellen. “schon zehn mal und sie haben seiner [meiner] Stimme nicht gehorcht” (Num 13,22-23). Die Episode der zwölf Späher erklärt, warum Gott sich gezwungen sieht, in der Wüste die Generation sterben zu lassen, die er aus ausziehen ließ, als sich das Rote Meer teilte und zu warten, bis die Kinder der Wüste erwachsen und bessere Gläubige geworden waren.

Plötzlich, nachdem sie wussten, dass das Land, in das sie gingen, bewohnt war, verstanden sie das sie kämpfen mussten, möglicherweise sogar sterben, um es in Besitz zu nehmen; die aus Ägypten Befreiten fühlten sich betrogen; sie murrten gegen Gott, der ein unendgeldliches Land versprochen hatte. In der Schuld wird die Bestrafung sein: weil sie kein Land betreten wollten, das sie mit Gewalt gewinnen mussten, konnten sie nicht aus der Wüste herausziehen. Sie hatten Angst, das gelobte Land zu sehen, weil es bewohnt war, und sahen nichts als das unbewohnbare Land der Wüste

In der Zwischenzeit nimmt Gott sich Zeit um sich ein Volk zu bereiten, das ihm und seinen Versprechungen und Wegen nach seinem Willen vertraut. Israel musste lernen, dass Gott sie - zum Missfallen aller - nicht verließ: in der Form der Wolkensäule (Ex 13,21-22; 14,19-24; 33,9-11; Num 11,25; 14,14) oder als Feuersäule (Ex 13,21-22; 19,18; 40,34-38; Num 9,15-23; 10,11-12) zog er vor ihnen her, war mit ihnen auf dem Weg und zeigte ihnen den Weg. Durch die Wolkensäulen am Tag und die Feuersäule in der Nacht bewies Gott seine Nähe und, nichtsdestoweniger, seine Distanz: er begleitet sein Volk ohne Anmaßung. Dabei favorisierte er immer den Glauben und ließ Raum für die Freiheit. Israel musste in der Konsequenz Entscheidungen treffen, ohne seine Verantwortung und das Risiko des Irrtums ablegen zu können; sie fühlten sich von Gott geführt, aber sie wussten, dass sie nicht gezwungen waren, ihm zu folgen. Die Zeit in der Wüste war beschwerlich, unerlässlich für die Erziehung zur Freiheit.

Von Gott angeführt zu werden, ersparte Israel nicht die Mühen seines Weges, die Angst vor Irrtümern und vor der eigenen Verantwortung. Und in der Tat waren sie der Versuchung erlegen, sich einen Gott nach Maß zu schaffen, als sie ein wertvolles und imponierendes Tier schufen, “einen Gott, der vor uns herzieht ” (Ex 32,1-23); “sie tauschen die Herrlichkeit Gottes gegen das Bild eines Stieres, der Gras frisst ” (Ps 106,20). Welchen anderen Gott konnte sich ein Volk wünschen, dass müde vom Umherziehen war? Aber ein Gott, gebildet nach den Bedürfnissen des Gläubigen, ein Gott, den man sich nach Belieben aufstellen kann, ist kein Befreier und wird eine schwere Last; wie dann der Prophet ironisch über die Götter aussagt, “Arbeit des Künstlers und aus der Hand des Goldschmieds”, sie können nicht reden; “man muss sie tragen, weil sie nicht gehen können” (Jer 10,5)

Es kostete Gott viel, sein Volk zu erziehen, das er sich als Sohn auserwählt hatte; die Wüste war für Ihn der Ort der Verbitterung, der Prüfung, der Provokationen (Ex 17,1-17; Ps 81,8; 95,8) die ihn “eifersüchtig” machten (Ps 78,58). In der Wüste wurde Gott sensibler für die Kritik Israels, weil er näher war, weil er den Durst und den Hunger des Volkes gestillt hatte, weil er es bei Tag und Nacht anführte. Um ein treues Volk zu haben musste Gott viele Beleidigungen und Unsinn erleiden, bis zu dem Punkt an dem er verhärtet dachte, dieses störrische Volk zu vernichten (Ex 32,2-10). Gott sei Dank hatte er in diesen Tagen Mose, den Mittler, an seiner Seite, der sich auf die Ehre des entehrten Gottes und auf seine Treue zu den gegebenen Versprechen stützte und “der Herr ließ sich das Böse reuen, das er seinem Volk angedroht hatte.” (Ex 32,14)

3.3 Mit einem einzigen Ziel, sein Volk zu retten

Wie entdeckte Israel, nach langem Umherziehen durch die Wüste, sein Befreier hatte von Anfang an einen sehr präzisen Plan: der Weg, der begann wie eine dreitägige Wallfahrt um Opfer zu bringen (Ex 5,3) endete mit der Bestätigung eines ewigen Bundes (Ex 24,8). In der Wüste fand Israel einen Gott, der begehrte, sich mit dem Volk zu einem Gesetzesbund zusammenzuschließen und das Volk verpflichtete sich zu gehorchen und frei übernommene Gesetze zu beachten (Ex 34,10-27). Zum Verbündeten Gottes zu werden war die letzte, endgültige Erfahrung, die das Volk auf dem Weg durch vierzig Jahre in der Wüste erlebte.

Am Sinai wurde das Volk Israel zum Verbündeten Gottes, der es aus Ägypten befreit hatte, in dem er das Volk als erstgeborenen Sohn angenommen hatte (Ex 4,22) und wusste dass es sich mit ganzer Exklusivität einem eifersüchtigen Gott verdankte (Ex 20,5; 34,14). Sicher, die exklusive Vorliebe führte dazu, dass sich dieser eifersüchtige Gott in einen schwierigen und intoleranten Begleiter verwandeln würde, der mit Gewalt und Leidenschaft regierte, wenn er sich in seiner Lieb betrogen fühlte. Israel wurde sich bewusst, dass dieser Gott notwendig war, um zu überleben (Num 14,40-45), dass er seinem Volk vorausging und kämpfte, dass er es trug und unterstützte “ wie ein Vater den eigenen Sohn trägt” (Dtn 1,31), dass er das Volk nicht zwang ihm zu folgen und bei ihnen blieb „in diesen vierzig Jahren und ihnen an nichts fehlte ” (Dtn 2,7, 8,2). Mehr noch, während sie mit ihm unterwegs waren, Schulter an Schulter, verstand Israel, dass Gott wollte, dass man ihm folgte und gehorchte. (Dtn 13,5) Wenn sich jemand von IHM entfernte – oder IHN nur vergaß – wäre das sein Verderben (Dtn 7,4; 8,14).

So, unterdrückt von diesem Gott, wurde Israel Verbündeter seines Befreiers und wurde sich seiner Einzigartigkeit gegenüber den anderen Völkern bewusst: “Jetzt aber […] werdet ihr unter den Völkern mein besonderes Eigentum sein” (Ex 19,5): keiner anderen Nation gegenüber hat Gott sich so verhalten. Israel, aus Ägypten befreit und nach beschwerlicher Pädagogik frei, wurde am Ende erwähltes Volk, ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk (Ex 19,6) ; der lange und schmerzliche Prozess der Befreiung – und der Erziehungsanstrengung Gottes – war an seinem Ende angelangt. Am Sinai, beginnen Israel und Gott die letzte Reise gemeinsam, frei und freundschaftlich, nachdem sie den Willen Gottes akzeptiert hatten, (Ex 19,8: “Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun!”). Der Aufenthalt in der Wüste, auch wenn er unvorhergesehen und sicher nicht gewollt war, hat das Wunder bewirkt, eine unorganisierten Schwarm von Befreiten in eine Volk zu verwandeln, dass sich von Gott auserwählt fühlte. Das ist der Erfolg der göttlichen Pädagogik!

 

4. Das Ziel: Ein eigenes Land, um in Freiheit zu leben
Gott erzieht sein Volk, das Geschenk als Aufgabe anzunehmen,
indem er sie verpflichtet, das Land zu erobern

“Hiermit liefere ich euch das Land aus; zieht hinein und nehmt es in Besitz,
das Land von dem ihr wisst; der Herr hat geschworen, es unseren Vätern zu geben ”
(nach Dtn 1,8)

Der Auszug asu Ägypten wäre voll und ganz gescheitert, wenn er sein Ende in einem dauerhaften Aufenthalt in der Wüste gefunden hätte: als freies Volk, ohne ein eigenes Land zum Leben wäre der Exodus kein wirkliches Heil gewesen; Kanaan verwirklichte das Verspechen und ließ das Heil konkret werden.

Das gelobte Land war also integrierter Teil des Heilsprojektes Gottes, der Gegenpart zu Ägypten; der Einzug in das Land der Kanaaniter schloss den Zyklus des göttlichen Eingreifens ab, der mit dem Aufbruch Abrahams aus seinem Land begonnen hatte (Dtn 26,5-9): in Kanaan fand das Volk Gottes endlich einen Ort zum Leben und Raum für die Ruhe.

4.1 Zurückgewiesenes, aber glänzendes Geschenk:
ein “schönes” Land und ein “neuer” Gott

Alle, die aus der Wüste herauszogen und in das fruchtbare Land Kanaan hineinzogen fanden ihr Heil, besser noch sie stießen darauf. Israel wusste, dass es nicht Sohn und auch nicht natürlicher Herr dieses Landes war, das sie einnehmen sollten: Das Volk bemächtigte sich “großer und schöner Städte, die du nicht gebaut hast, mit Gütern gefüllter Häuser, die du nicht gefüllt hast, in den Felsen gehauener Zisternen, die du nicht gehauen hast, Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast” (Dtn 6,11) und bekannte immer, dass diese von Gott versprochen und zugestanden waren.

Die Inbesitznahme Kanaans war nicht nur die Folge der Besetzung durch militärische Eroberung oder friedliches Eindringen, sondern vor allem legitime Aneignung dessen, was Gott zugestanden hatte. Der Gott Israels begnügte sich nicht damit, dem Volk die Freiheit zu geben, er gab ihm ein Land, um die Ausübung der eingeräumten Freiheit zu sichern. Gott versprach Israel, sich im gelobten Land anzusiedeln (Jos 22,19): er hatte zuerst ein Volk als Sohn auserwählt, und musste nun für einen Ort sorgen, an dem sie wohnen konnten (Ex 15,17); Israel, die Nation und das Land, war und blieb das Erbe Gottes.

Zu dem geschenkten Land erhielt Israel eine neue Offenbarung Gottes. Es lernte, dass der Gott, der in Ägypten Befreier war, in der Wüste Begleiter und Verbündeter, nun auch der Gott des Landes war: zu diesem Gott zu gehören schloss ein “Anteil am Herrn zu haben” (Jos 22,25; vgl. Ps 16,5). Dies hatte zur Folge, dass niemand in Israel alleiniger Eigentümer eines Landes von Gott war, bei IHM waren alle höchstens “Fremde und Halbbürger” (Lev 25,23). Die Länder waren nicht als Eigentum geschenkt, sondern als Leihgabe für ihre Bebauung; die Grenzen der Teilstücke des Landes blieben unberührbar, da Gott dies angeordnet hatte. Außerhalb zu leben, “außerhalb der Teilhabe am Herrn zu sein,” bedeutet “fern vom Herrn” (1 Sam 26,20) zu sein; das Land zu bewohnen, verpflichtete dazu, Gott gehorsam zu sein (Jer 2,7; 16,18): den Ungehorsam zahlt man mit der Verbannung (Ez 36,5; Hos 9,3). Zum Verständnis Kanaans als Erbe Gottes gehörte ein neues Gottesbild: der Gott, der Weggefährte war, und mit seinem umherirrenden Volk auf dem Weg war, wurde zum Gott, der in einem Land einen Wohnsitz hatte, dessen Herrscher er war. (Jos 22,19), mitten unter seinem Volk (Num 35,34). Im Land Kanaan wird Gott ein sesshafter Gott, kaum dass sein Volk sich niedergelassen hat

Und da das Land geschenkt ist, ist es immer Gnade, es zu besitzen. In diesem geschenkten Land lebt man nicht, wie es beliebt, sondern wie Gott, der Herr, es wünscht. Die Liberalität Gottes zwingt Israel selbst in Großzügigkeit zu leben: das, was es als unverdientes Geschenk erhalten hat, kann es nicht unbedacht ausnutzen. In Kanaan wurde Israel, wie Adam im Garten Edeln vor dem Sündenfall (Gen 1,29), Platzhalter Gottes. Im Sinn Gottes hatten die Gesetze zur Kultivierung des Landes das Ziel, das Bleiben des Volkes von Generation zu Generation in Dankbarkeit gegenüber Gott und in Achtsamkeit gegenüber dem Land zu sichern.

So unterwarf Gott Israel der Pädagogik des Geschenks: Gott erzog sie dazu, abhängig von ihm zu leben, indem er vermied, dass sie glaubten einziger Herr im Land zu sein und indem er anderen zur Verfügung stellte, was sie als Geschenk erhalten hatten. Wer alles von Gott bekomme hatte, war verpflichtet, etwas für Ihn und sein Versprechen vorzubehalten: ein Gott, der sein Erbe aufteilt stimmt keinen kleinen Besitztümern zu. Die Gesetze von den Erstlingsfrüchten (Ex 23,19; 34,26; Lev :9,23-24; 23,10), die von den jährlichen und dreijährlichen Zehnten (Ex 22,28; Num 18,21-22; Dtn 14,22), das Gesetz von Unterbrechung des Anbaus alle sieben Jahre (Ex 23,10-12) und sogar das Verbot, nach der Kornernte die übrigen Ähren aufzusammeln, oder die Reste aufzugreifen (Lev 19,9-12; 23,22) sind nichts weiter als Glaubenszusätze Israels an ihren Gott, den einzigen Inhaber des bewohnten Landes.

Und da das Land Geschenk eines verbündeten Gottes war, konnte es kein anderes sein als das bestmögliche Land - “Schönes Land” (Ex 3,8; Num 14,7; Dtn 1,25). Ohne Mühen erhalten (Jos 24,13), war Israel begeistert darüber, weil Gott sie nicht enttäuscht hatte: Es ist ein Land, indem Milch und Honig fließt. (Num 13,27; Dtn 6,3; 11,9; 26,9-15; 27,3; Jer 11,5; 32,22). In vollem Gegensatz zur monotonen Trockenheit der Wüste erinnerte das Gelobte Land an das verlorene Paradies: wie dort gab es Wasser im Überfluss (Dtn 8,7-20; 11,10-15), eine Prüfung der göttlichen Vorsehung. Noch mehr, in Kanaan ist es Gott selbst, der für die Regenzeiten sorgt: ein Land, das Wasser vom Himmel trinkt, ist ohne Zweifel das Land des Segen Gottes. Während Israel das Land bebaute, erkannte es endlich die Freude, auf Gott zu zählen.

4.2 Eine geschenkte Freiheit, die dazu verpflichtet, in Freiheit zu leben

Das Heil, das von Gott gewährt war, ist nicht nur bedingungsloses Geschenk; es ist vor allem ein umzusetzendes Programm: auf das Geschenk der Freiheit folgt notwendigerweise die Freiheit als Aufgabe. Während des gesamten Befreiungsprozesses tat Gott alles für das Volk, einige Male sogar gegen es; im letzten Schritt, während der Besiedlung Kanaans ist nichts ohne Israel verwirklicht worden - quasi zur Freiheit geboren, ohne dies zu wollen, musste es in Freiheit blieben, um am Leben zu bleiben.
Sich im neuen Land niederzulassen verursacht neue Probleme. Da war die Gefahr, kulturelle und religiöse Formen anzunehmen, die besser entwickelt waren und dem Anschein nach effektiver, und besser angepasst an die neuen Notwendigkeiten waren. Für das Volk von Bauern war das kultivierbare Land offensichtlicher Mittler zur Gottheit. Israel als Nomadenvolk hingegen, spürte schnell die Verführung der Religion Kanaans, die das Bestehen in diesem Land besser abzusichern schien.

Die Ansiedlung in Kanaan verursachte radikale Veränderungen in den sozialen Verhaltensnormen. Israel übernahm die rechtliche Ordnung der Völker der Umgebung, ohne sie nach dem Willen seines Gottes zu erneuern. Das bedeutet, das israelische Recht charakterisierte sich durch ein starkes moralisches Bewusstsein, das Verhältnis zwischen Übertretungen und Strafe und durch eine vorrangige Sorge um die schwächeren sozialen Schichten Der Glaube an Gott, den Befreier, bildete die Grundlage der sozialen Freiheit: Wer glaubte, aus der Sklaverei erlöst worden zu sein, konnte nicht dahin zurückkehren, neue Herrscher zu haben (1 Sam 13,8-15; 15,10-30; 2 Sam 12,1-12; 1 Kön11,31-39; 21,17-24), der konnte dem Fortbestand der Sklaverei nicht zustimmen (Ex 21-23; Dtn 15,12-18; Lev 25,39-43). Der Gott, der das Volk gerettet hatte, indem er es aus der erzwungenen Sklaverei befreit hatte, brauchte freie Menschen, um als Befreier gefeiert zu werden. Das Volk Israel, das Gott begegnet war, als es aus dem Sklavenhaus herauszog, konnte der Freiheit anderer keine Grenzen setzen: für beide, für Gott und Israel, war die Freiheit unverzichtbar.

4.3 Die Ruhe und das Fest, Ziel der Befreiung

Nachdem Israel das gelobte Land eingenommen hatte, fand es endlich einen Ort der Ruhe und einen Grund für das Gemeinschaftsfest. Das Betreten des Landes hielt die müden Füße an und der Mühe folgte die Erleichterung; Israel konnte “glücklich” essen und trinken (1 Kön 4,20): das Heil des Gottes des Exodus hatte als Ziel, als wahres Ziel des „Erziehungsprozesses“, das Zugeständnis eines Landes, in dem die Ruhe nicht vernachlässigt wird und die Muße Kult und Freude fördert.

Der Besitz eines eigenen Landes machte Ruhe möglich. Im geschenkten Land konnte man in Ruhe und Frieden leben, “ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum ” (1 Kön 5,5). Gott beschäftigte sich persönlich mit den Grenzen (Ez 36,5; Ps 123) und hatte Israel eine endgültige Ruhe versprochen (1 Kön 8,56). Indem Gott – im Tempel von Jerusalem – inmitten seines Volkes blieb, fühlte Israel sich sicher, nicht zu alter Sklaverei oder neuen Mühen zurückzukehren. Es ist Gott, der sein Volk sieht und aufbaut, die Grenzen und die Häuser: es war unnötig bis zum Morgengrauen zu wachen oder spät zur Ruhe zu gehen (Ps 127, 2). Israel überstand die Angst vor der Zukunft nicht, weil es um die Macht sie zu beherrschen wusste, sondern weil es sicher war der Zukunft nicht allein zu begegnen. Wer den Ort der Ruhe Gottes betritt (Ps 95,11) ist von Sorgen befreit und ist frei, auf den Wegen des Herrn zu gehen. Sogar der Schlaf, der Zustand der befriedigenden Ruhe und Sorglosigkeit, verwandelt sich wie das Brot zu einem Geschenk für die Freunde des Herrn (Ps 127,3).

Die Ruhe im gelobten Land war so wichtig, dass Gott, der Befreier der Sklaven, Israel gebot den Sabbat zu heiligen. (Ex 23,12; 2 Kön 4,23; Jes 1,13; Hos 2,13): das Volk brauchte die Ruhe, um bezeugen zu können, dass die Arbeit keine auferlegte Gewalt war (Dtn 5,14-15). Der Gott des Exodus befreit sein Volk vom besorgten Missbrauch der Zeit, von der Angst, die Zeit auszunutzen; Freiraum zu haben für die Erinnerung an die erlebte Vergangenheit mit Gott, indem er auf zerknirschte Produktion und die Sorge um de Verdienst verzichtet, versöhnt er den Gläubigen mit sich selbst und mit seinem Nächsten.

Mit der Verpflichtung zur Ruhe und der Anordnung des Kultes hat Gott sein Volk zur Unendgeldlichkeit erzogen: mit dem zu leben, was es erhalten hat, ohne hart zu arbeiten noch sich anzustrengen um noch mehr zu haben, ist das Ziel der Pädagogik des Gottes des Exodus, eines Gottes, der an eine Befreiung in drei Tagen dachte (Ex 5,3) und, als dies nicht gelang, eine endgültige Befreiung durchsetzte und ein Land gab um diese zu feiern.

II. Erziehen heute, göttliches Handeln

“Die Pädagogik Don Boscos – so hat ein Experte geschrieben - ist identisch mit seinem ganzen Handeln; und das ganze Handeln ist identisch mit seiner Persönlichkeit; und der ganze Don Bosco ist definitiv zusammengefasst in seinem Herzen.” Das Erziehungssystem Don Boscos – seine Optionen und die Methodologie - ist also die Enthüllung seines innersten Seins und die Konkretisierung seines Handelns als Priester für die Jugendlichen. Sowie Gott das Volk Israel, sowie Jesus seine Jünger, wage ich zu sagen, rettete Don Bosco die Jugend, indem er sie erzog.

Der Erzieher rettet, wenn er - wie Gott - das Elend der seinen sieht, sich von ihrem Leiden bewegen lässt (Ex 3,7-9a) und einen genauen Plan zum Eingreifen entwickelt (Ex 3,9b-4,17). Wenn er sich selbst zu erkennen gibt (Ex 3,14-15: “So sollst du zu den Israeliten sagen: “ Der “Ich–bin-da“ hat mich zu euch gesandt … Jahwe, der Gott eurer Väter … Dies ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen in allen Generationen”), indem er zu erkennen gib, wer und wie er erziehend rettet. (Ex 3,16-18). Da er den Schmerz eines Volkes kennt – er hat ihn gesehen und gehört – kann er nicht inaktiv bleiben Am Ursprung des göttlichen Erziehungshandelns ist also das Mitleid gegenüber einer Situation des Elends: Gott gibt sich zu erkennen, weil und dadurch, dass er sein Heil zu erkennen gibt.

Der, der das Volk Gottes erziehen muss, musste sich zunächst von Gott erziehen lassen. Wer im Namen Gottes erzieht, muss Gott und seine Pläne gut kennen: Ohne persönliche Begegnung – göttliche Offenbarung – wird die Erziehung des Volkes nicht zum Heil Gottes. Der einzige Mittler, der Erzieher, bekommt einen Bruder als Stütze und zum Überbrücken der eigenen Defizite: heilende Erziehung ist immer gemeinsames Ziel.

Der Erzieher rettet, indem er Brüche auferlegt. Am Ursprung des erzieherischen Handelns Gottes war sein mitleidvolles Herz; er zeigte sich selbst, nachdem er den erbarmungswürdigen Zustand seines Volkes beobachtet hatte und seine Schreie gehört hatte. Echte Erziehung ohne Kompassion ist wenig glaubwürdig.

Gott beginnt sein Heil mit einer diskreten, ich würde sagen fast schon höflichen, Anfrage nach einer teilweisen Befreiung, für drei Tage der Feier, um in seinem Volk den Geschmack am Fest und der Ruhe zu wecken, zur Freude am freien Dienst. Ein einfaches Vorhaben trifft auf Widerstände und Missverständnisse: um sich zu legitimieren nimmt Gott teil an dem, der leidet und wird sein Vater. Die göttliche Erziehung ist die Fähigkeit des mitleidenden Vaters.

Die Geschichte Israels, als Muster und Bild der Kirche, zeigt offensichtlich, dass es keine menschliche Situation gibt, die nicht Motiv und Mittel einer Gottesbegegnung werden kann: ein fremdes Land wie Ägypten, in dem die einzige Unterdrückung die Zwangsarbeit war, konnte zur Entdeckung Gottes, des Befreiers, führen; in einer Wüste, dem Niemandsland, wo die Existenz permanent bedroht ist, machte man die Erfahrung eines Gottes, des unermüdlichen Begleiters und treuen Verbündeten; ein neues Land, fruchtbar und bewohnt, wo der Dienst für Gott und die Ruhe des Menschen möglich wurden, führt dazu, Gott den einzigen Herrn des Landes und den Freund des Festes kennen zu lernen. Israel durfte nicht aus seiner Geschichte “herausgehen”– der Realität entfliehen, auch nicht aus Gefahren - um Gott zu finden; aber es musste kontinuierlich aus sich selbst herausgehen, um Gott zu empfangen, wann immer und wie er sich zeigte. Gott, der lebt, um zu retten, rettet nicht, ohne ‘herauszuführen’, ohne zu erziehen.

Die Erziehungsarbeit verlangt Zeit und Prüfungen: aus einer unguten Situation heraus zu kommen bedeutet nicht, in eine bessere zu gelangen, Befreiung ist noch nicht Freiheit. Es braucht unvorhergesehen Wege, die Gott als guter Erzieher immer begleitet solange er als treuer Verbündeter nötig ist. Der Erzogene braucht lange Zeit, um frei zu werden und sich die zugestandene Freiheit anzueignen.

Wer aus der Knechtschaft in einem fremden Land gerettet worden ist, kann im eigenen Land die Knechtschaft anderer nicht unterstützen. Der Wohlerzogene wird zum Erzieher, zum Befreier. Das Ziel der göttlichen Erziehung ist die festliche Ruhe und die Unendgeldlichkeit in Beziehungen zu anderen.

Rom, 11. November 2007

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